Dienstag, 31. Oktober 2017

Grünes Gold


Seit März ist Kiffen auf Rezept erlaubt. Doch bislang ist Cannabis in den Apotheken kaum erhältlich. Dies soll sich mit der Vergabe staatlicher Anbaulizenzen ändern. Viele Unternehmen wittern das große Geschäft.
"Willkommen in der Hanfstadt" - der euphorische Bürgermeister in der Lausitz, mit dem John Hoff ein Investment aushandelt, denkt schon daran, die Ortsschilder auszutauschen. Es geht um 40 Millionen Euro, um riesige Gewächshäuser, in denen Ingenieure, Biologen und Computerfachleute arbeiten. Es geht um viel Hightech. Und es geht um Cannabis.
Hoff, 37, studierter Soziologe, früherer Unternehmensberater, setzt auf einen Markt, von dem er glaubt, dass dort bald viele Milliarden zu verdienen sind. Seit März können Ärzte in Deutschland das aufdringlich duftende, berauschende Gras an Schwerkranke verschreiben. Zehntausende Päckchen wurden von Apotheken bereits ausgehändigt - es gibt dennoch Engpässe. Cannabis ist derzeit Importware.
Ab 2019, so der Plan der Bundesregierung, soll Cannabis in Deutschland angebaut werden. Der Staat will Lizenzen vergeben, die Koordinierung hat eine neu gegründete Cannabisagentur übernommen. Es geht vorerst um die Produktion von insgesamt 6600 Kilogramm. "Die Perspektiven sind blendend, andere EU-Länder werden bald folgen", meint Hoff. Diesem Lockruf folgen auch große Unternehmen aus Übersee. In Kanada, den USA und Israel ist aus dem Teufelszeug längst eine Heilpflanze geworden, Arzneimittel mit Cannabis-Wirkstoffen sind dort etabliert. Canopy Growth, Tilray und Aurora nennen sich Schwergewichte einer Branche, die hierzulande noch gänzlich unbekannt ist. Sie betreiben mittlerweile Dependancen in Deutschland.
Auch Hoff hat einen potenten Investor gefunden. Zwölf Monate, nachdem der Berliner seine Firma gegründet hatte, verkaufte er sie an die kanadische Firma ABcann. Zuvor war der Geschäftsmann oft nach Nordamerika gereist, knüpfte Kontakte, sprach mit Ärzten, Apothekern und Managern. "Man muss seine Hausaufgaben erledigt haben, um dort mitmischen zu können."
Die harzigen Blüten, die in weltweit Millionen Pfeifen und Joints gestopft werden, gelten bei vielen Ärzten mittlerweile als Wundermittel. Die Wirkstoffe THC und CBD lindern demnach Schmerzen, entspannen die Muskeln, steigern den Appetit und verhindern Psychosen und Epilepsien. Doch für den medizinischen Einsatz unterliegt das Gras den gleichen strengen Richtlinien wie Arzneimittel. Das bedeutet, dass der Anbau unter jenen Bedingungen ablaufen muss, die im Reinraum herrschen. Zudem muss das pflanzliche Produkt frei von Schadstoffen sein. Die größte Kunst ist darüber hinaus, Blüten zu züchten, die sich im Wirkstoffgehalt nicht voneinander unterscheiden - wie Schmerztabletten.
"Es gibt eine Menge Glücksritter, die glauben, man kann mit Gras jetzt reich werden", sagt Hoff. Allerdings hätten jene Mitbewerber, die selbst gerne dem bekifften Müßiggang frönen, kaum eine Chance im Ausschreibungsverfahren, an dem sich über 100 Firmen beteiligten. Wie es heißt, sind nur noch investorengesteuerte Unternehmen im Rennen.
"Auf dem Markt wird mit harten Bandagen gekämpft", berichtet Hoff. Dies äußert sich auch darin, dass manche Bieter schon mit juristischen Mitteln um eine staatliche Lizenz kämpfen. Die Ausschreibung ist derzeit durch Klagen blockiert. Ein Ende sei noch nicht absehbar, sagt dazu ein Sprecher des zuständigen Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Der Deutschlandchef von ABcann prognostiziert auch eine Professionalisierung. "Hanfpantagen sind nur eine Übergangslösung", sagt Hoff. Mit Hefepilzen ließen sich die Wirkstoffe auf synthetischer Basis viel billiger herstellen; Konzerne wie Bayer würden gerade die Potenziale ausloten. Sein Unternehmen will sich vorerst auf die Gewinnung von Blütenextrakten konzentrieren.
Hoff verspricht in der Anfangsphase bis zu 250 Jobs, nach dem kompletten Ausbau sogar die doppelte Zahl. Ein Grundstück hat er sich bereits gesichert sowie die Zustimmung der Kommune. Wo genau das Gras in der Lausitz wachsen soll, darf er nicht verraten - der Anbau unterliegt einer Geheimhaltung. Auch Gespräche mit Vertretern der Landesregierung hätten bereits stattgefunden. Die brandenburgische Wirtschaftsfördergesellschaft bestätigt die Verhandlungen. "Der Anbau von medizinischem Cannabis ergänzt unsere Strategie, die Gesundheitsbranche insgesamt auszubauen", sagt Sprecher Alexander Gallrein. Mit "einer Handvoll" Cannabis-Firmen habe es bereits Treffen gegeben.
Auch in Hamburg hat man große Ziele. Heiko Mohrdiek, von Beruf Strafverteidiger, vertritt vor Gericht vielfach Kiffer, Dealer oder Hobbyzüchter, die von der Polizei erwischt wurden. Zusammen mit Freunden hat er die Hanf AG gegründet - ein unternehmerischer Überbau für weitere Firmen, mit denen unter anderem Cannabis importiert werden soll.
Die staatliche Ausschreibung bewertet er kritisch, da dort Maßstäbe angelegt wurden, die kein einheimisches Unternehmen erfüllen kann - etwa die Vorlage von "Arbeitsproben". "In Deutschland gibt es ja keine offizielle Anbauerfahrung, zumindest nicht aus den vergangenen fast 100 Jahren", sagt Mohrdiek. "Also liegt es auf der Hand, dass man ausländische Partner braucht." Ebenso galt das bayrische Pharmaunternehmen Bionorica, welches das Cannabisextrakt Dronabinol herstellt, als möglicher Bewerber für den Anbau, hat dies aber klar dementiert. Blüten ließen sich nur schlecht dosieren, Ärzte könnten die Anwendung nicht steuern, teilt das Unternehmen mit.
Im Chor der Wettbewerber, die sich eine gute Ausgangsposition sichern wollen, kommt zudem immer wieder der Amerikaner Pierre Debs zu Wort, der sich bei Heidelberg niedergelassen hat und den Import von Hanf aus Kanada organisiert. Der Biologe prognostiziert: "In weniger als fünf Jahren wird Cannabis auch in Deutschland legal zu kaufen sein." Es entstehe eine Industrie.

Doch bis diese Entwicklung erreicht ist, muss das Gesetz in Deutschland wohl noch korrigiert werden. Krankenversicherungen, Ärzte und Apotheken ringen um die Finanzierung der Cannabis-Produkte. So betont der Spitzenverband der gesetzlichen Kassen, dass der medizinische Nutzen von Cannabis noch nicht nachgewiesen sei. Nur die Hälfte der eingereichten Rezepte wurde bislang erstattet. "Die Ärzte begründen nicht richtig, warum andere Therapien nicht in Frage kommen", sagt Verbandssprecher Florian Lanz. Auch die Zuschläge der Apotheker werden kritisiert. "Das Abwiegen und Abfüllen der Blüten wird genauso vergütet wie Rezepturen." Das treibe die Kosten. Durchschnittlich 124 Euro wird für eine Fünf-Gramm-Dose berechnet. Das sind Preise, von denen Dealer in dunklen Ecken nur träumen.

http://www.moz.de/nachrichten/berlin/artikel-ansicht/dg/0/1/1615034/

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