Samstag, 25. November 2017

Schweiz: Zug um Zug


Man kauft es nun auch an der Tankstelle oder im Lebensmittelladen: Cannabis erlebt in der Schweiz eine noch nie dagewesene Blüte, dank Sorten, die nicht berauschen. Der Boom könnte der Anfang der totalen Liberalisierung sein – die auch den Staat beglücken würde.
Täglich fit mit zwei Gramm Shit. Das steht auf der Werbetafel vor dem Laden Cannaflora in Zürich. Und auf der Hinterseite: Smoke some haze, chill the days. Zu Deutsch: Rauche Gras und geniess die Tage. Kein Zweifel, in diesem schmalen Lädelchen an der Zürcher Ausgangsmeile gibts Cannabis à gogo.
Und nicht nur hier, sondern an immer mehr Orten in der Schweiz. In Tabakläden, Kiosken und grossen Lebensmittelläden wie Coop oder Denner. Man kauft Marihuana vermischt mit Tabak in industriell gerollten Zigaretten, die im Regal neben Marlboro & Co. stehen. Oder auch gleich pur, in verschweissten Tütchen mit grünem Hanfblatt. Spezialisierte Lädelchen wie Cannaflora entstanden in diesem Jahr in jeder Stadt, in fast jedem Dorf. 370 Unternehmen sind bereits im Cannabis-Markt tätig, sei es im Handel oder im Anbau.

Drei Buchstaben sind der Schlüssel zu dieser neuen Schweizer Welle: CBD.
Die Luft riecht klebrig süss. Treibhäuser reihen sich aneinander. Durch die milchigen Scheiben zeichnen sich hüfthohe Pflanzen ab. Hier liegt das Zentrum des derzeit grössten Hanfproduzenten der Schweiz – Bio Can. Und hier wurzelt der Cannabis-Boom, der das Land seit gut einem Jahr erfasst hat.

Die Ernte läuft gerade. Gründer und Pionier Markus Walther hat deswegen wenig Zeit. Tausende Pflanzen werden von den Feldern und aus den Treibhäusern geholt und zentral gesammelt, wo dann die wachteleigrossen Blüten sorgfältig abgeschnitten werden. So bittet Hans Peter Kunz, Leiter Finanzen, zum Kaffee im Haus neben den Treibhäusern. Weiche Ledersofas, Couchtisch und darauf die ganze Produktpalette von Bio Can – vom 10-Gramm-Beutel über Nahrungsergänzungskapseln bis zum Hanföl.
"Angefangen hat alles mit einer kleinen Gesetzesänderung", erzählt Hans Peter Kunz. 2011 entscheidet der Bundesrat, dass Cannabis-Produkte mit einem THC-Gehalt unter einem Prozent nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. THC, also Tetrahydrocannabinol, ist die rauschbewirkende Substanz der Hanfpflanze. Die zweite zentrale Substanz ist Cannabidiol, kurz CBD. CBD ist nicht berauschend, soll aber zahlreiche beruhigende, entzündungshemmende wie entkrampfende Wirkungen zeigen. Die Studien dazu laufen noch.

Markus Walther wittert in dieser leichten Gesetzesänderung seine Chance. Er ist bereits in den 1990er-Jahren und Anfang der 2000er-Jahre im Hanfbusiness tätig. Damals, als sich der Cannabismarkt in der Schweiz zaghaft liberalisiert. In vielen Schweizer Städten werden Hanfläden eröffnet, die berauschendes Cannabis verkaufen – nachlässig getarnt als Badezusatz oder Duftsäckli, die am Ende selbstredend nicht der Raumparfümierung dienen.

Tabakersatz - die zündende Idee 

Die Schweiz steht kurz davor, das erste Land der Welt zu werden, das den Cannabismarkt per Gesetz regeln will. Drei Jahre lang dominiert die Diskussion die politischen Räte und die Öffentlichkeit. Am Ende lehnt es das Parlament aber doch ab, das Betäubungsmittelgesetz zu revidieren. Die schätzungsweise 200 Hanfläden, die bis dahin entstanden sind, werden ab Juni 2004 polizeilich geschlossen.

Debattiert wurde in der Öffentlichkeit aber weiter über das Thema, auch dank einer Volksinitiative zur Liberalisierung von Cannabis. Das Stimmvolk verwarf sie 2008 jedoch mit über 60 Prozent Nein-Stimmen.
Drei Jahre später, 2011, kommt es dann zu diesem erneuten kleinen Liberalisierungsschritt. Markus Walther wendet sich mit seiner Idee des CBD-Tabakersatzes an Anwälte. Doch die winken ab. Ein solcher Stoff müsste vom Bundesamt für Gesundheit bewilligt werden. Und die, so sagen ihm alle, würde nie die Unterschrift unter Cannabis als Raucherware setzen. Walther lässt sich nicht beeindrucken. Er engagiert einen Experten, der sich mit der Zulassung von Pharmazeutika-Produkten auskennt. Und so startet das komplexe Bewilligungsverfahren. Vier Jahre lang werden Gesuche gestellt, Abklärungen gemacht, Abrauch-Analysen vorgenommen.
Im Sommer 2016 liegt dann der Brief auf dem Tisch: Gemäss Tabakverordnung, bestätigt das Bundesamt, handelt es sich um Schnitttabak. Darf also unter ähnlichen Bedingungen wie Tabak verkauft werden. Bio Can legt los –  und schlägt ein. Die erste Ernte beläuft sich noch auf 500 Kilogramm. Heute produziert Bio Can mit ihrer Partnerfirma Blühauf GmbH bereits 5 Tonnen. 10 Gramm CBD-Cannabis von Bio Can kosten 67 Franken. Die gleiche Menge berauschendes Marihuana kostet auf dem Schwarzmarkt 100 Franken. Vertrieben werden die Blüten und Hanfsamen an Händler, aber auch an Grossisten.

https://www.swissinfo.ch/ger/marihuana_zug-um-zug/43674664

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